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Denguefieber, Skorpione und noch mehr, Landärztliche Tätigkeit in Zentralbrasilien

Carsten Dombrowski • Feb. 24, 2022

Praktikum in einem medizinischen Stützpunkt im Staat Sao Paulo

In Brasilien steht den Einwohnern ein kostenfreies Gesundheitssystem zur Verfügung. Das sog. Sistema Unico de Saúde, kurz SUS. 

Flächendeckend sind diese SUS Stützpunkte in unterschiedlicher Besetzung und Leistungsfähigkeit über dieses riesige Land Brasilien verteilt. In manchen ist nur stundenweise eine Krankenschwester mit oder ohne Arzt tätig, andere sind mit mehr qualifiziertem medizinischen Personal über längere Zeiträume besetzt. Das hängt von Faktoren wie Infrastruktur, Bewohnerdichte, aber auch finanzieller Bereitschaft des jeweilig verantwortlichen Landkreises mit seinem Präfekten ab.

Manche Bereiche investieren mehr, andere zahlen nur das notwendigste.


Ich hatte die Möglichkeit eine Ärztin in ihrer Tätigkeit in einer ländlichen Gegend über mehrere Tage zu begleiten und Eindrücke über die medizinische Versorgung dort zu erlangen.


Region Serra Azul, Staat Sao Paulo. Eine Kleinstadt als Verwaltungssitz mit etwa 15.000 Einwohnern. Darüber hinaus eine hohe Zahl kleiner und kleinster Ansammlungen von Bauernhöfen oder einfachen Häusern. Haupterwerbsquelle Bananen und Zuckerrohranbau.

Bilder oberhalb: Karte Brasilien und die Stadt Serra Azul


Der ärztliche Stützpunkt war neben der Gemeindeschule in einem Haus des Franziskanerordens untergebracht. Ein Zimmer für Sprechstunde, Diagnostik und Behandlung. Davor ein Wartebereich überdacht, aber ohne weiteren klimatischen Schutz. Sprechstunde findet derzeit nur an wenigen Tagen statt, da der Präfekt die finanziellen Mittel in diesem Bereich sehr knapphält. Dazu zählt auch die Bezahlung für eine Krankenschwester und eine Ärztin.

Bilder oberhalb: Eindrücke der ländlichen Gegend


Der Tagesablauf

Beginn der Sprechstunde ab 08.00 Uhr. Es hatte inzwischen bereits 32 Grad, da gerade Sommer ist. Etwa 8 – 10 Patienten*innen warten bereits auf die Schwester. Sie werden registriert und geben ihre Angaben bei der Anmeldung, welche in eine Liste eingetragen wird. Kurze Zeit später ist die Ärztin auch soweit die Sprechstunde zu beginnen. 

Bilder oberhalb: Arbeitsumfeld an diesem SUS Stützpunkt

Ein Ventilator verschafft wenigstens in diesem Behandlungsraum erträgliche Temperaturen. Blechschränke die sich kaum verschließen lassen, eine alte Behandlungsliege und unbequeme Stühle auf denen die Patienten sitzen, lässt so den Komfort deutscher Arztpraxen völlig vermissen.


Auch ist die Ausstattung mit diagnostischen Gerätschaften eher spartanisch. Das gilt auch für die Möglichkeiten zur Behandlung oder anderer therapeutisch, behandelnder Optionen. Rudimentär wäre fast schon geprahlt. Es fehlt an so manchem Gerät welches in Deutschland eher als selbstverständlich betrachtet wird. Auch das Verbrauchsmaterial ist nicht gerade üppig. Dennoch wird mit dem gearbeitet was da ist.


Patient, nach Patient sitzt vor der Ärztin die geduldig zuhört, untersucht, Befunde bespricht oder einfach nur in sozialen Lebensfragen berät. Viele der Patienten, gerade die älteren können kaum lesen oder schreiben. Sie waren als Kinder einfach auf den Feldern, da blieb keine Zeit für Schule. Die Frauen wurden selbst oft schon in sehr jungen Jahren Mutter und waren dann für Familie, Haushalt und Feldarbeit zuständig. Die Problematik wie sie in solchen Sozialstrukturen weltweit ähnlich sind. Was während der gesamten Zeit auffällt, es kommt kein Grund der Klage oder eine Beschwerde über das oft lange Warten in der doch immer mehr zunehmenden Hitze. Sie sind einfach froh, dass jemand sich Zeit für sie nimmt, ihnen geduldig erklärt was auf diesen medizinischen Dokumenten steht oder tatsächlich unmittelbar vor Ort Abhilfe schafft. Letzteres ist aber eher die Ausnahme. Selbst kleinste Wundversorgungen werden auf Grund der Materialengpässe zur Herausforderung.


Häufig werden Ernährungsempfehlungen ausgesprochen, da viele Patienten einfach übergewichtig sind, viel zu viel Alkohol trinken oder andere sog. Zivilisationserkrankungen aufweisen. Große Mengen zuckerhaltiger Getränke und schlechte Ernährung aus dem Supermarkt hinterlassen auch hier ihre Spuren. Bluthochdruck, Diabetes oder andere Krankheitsbilder sind häufig festzustellen.

Harte Arbeit auf den Feldern, fehlender Ausgleich durch Sport oder Physiotherapie lassen diese Menschen sehr schnell altern. Orthopädische Schäden sind die Folge. Diese Menschen haben auf Grund der Lage ihrer Dörfer einfach keinen Zugang zu solchen Möglichkeiten der Verbesserung. Auch wenn sogar vielleicht ein Hauch von Bewusstsein dafür vorhanden wäre. Die Busverbindungen sind eher bescheiden, Zeit ist dafür nicht vorhanden und somit fällt das einfach hinten runter. Der nächste Tag wird hoffentlich besser. So lässt sich so manche inzwischen chronische Krankheit ertragen.


Abschließend zeigen sich die Baumängel der oft sehr einfachen Hütten und Häuser noch in anderer Weise. Hygienemängel und Tropenerkrankungen sind häufig kaum beachtete Begleiterkrankungen. Der Blick in die Augen mit der Gelbverfärbung und einer Abfrage der Lebensumstände zeigen das manchmal halt nicht zu sehr darauf geachtet wird, wo das Trinkwasser auf dem Feld herkommt. Hepatitis A auch hier ein Problem. Mosquitos eine ständige Plage. Natürlich war ich als weißer Gringo in diesen Tagen Hauptziel sämtlicher Stechmücken im Umkreis von vielen Kilometern, aber ansonsten mussten diese Biester sich mit dem Blut der Landbevölkerung begnügen. Fliegengitter oder andere Schutzmaßnahmen eher Fehlanzeige. Das abendliche Sitzen unter der Glühbirne an der sich hunderte Falter und Mücken sammeln eher die Regel. Manchmal redet man einfach gegen Mauern wenn es um Veränderungen tief verwurzelter Sozialstrukturen geht.


Wäre das noch nicht genug, zeigt sich diese wunderschöne Landschaft und Umgebung manchmal auch von ihrer weniger schönen Seite. Flora und vor allem Fauna halten noch so manche Herausforderung bereit. Schlangen eher weniger, da zu viele Haustiere, meist kläffende Hunde diese wohl vertreiben, aber Skorpione und Spinnen sind doch immer wieder für Unfälle verantwortlich. Gerade Kinder die doch noch in dunkle Ecken und Löcher greifen werden gebissen. Alleine im Jahr 2019 gab es nach Aussage des brasilianischen Gesundheitsministeriums etwa 99 Todesfälle und ca. 90.000 Unfälle durch 2 besonders gefährliche Skorpion Arten. Hotspot für diese Vorfälle ist u.a. die Region in der ich mich befand. In meiner Zeit hatten wir keinen Patienten durch Skorpionbisse, aber die erfahrene Ärztin versicherte mir, dass sie schon so manchen Patienten versorgen musste. Meist waren dies Kinder.

Merke Dir diesen 3 Satz, sagte sie.

Kinder – starke Schmerzen in den Fingern oder Zehen – Kreislaufprobleme = Skorpion

Flora und Fauna ist eine Herausforderung


Oft werden die Insekten nicht einmal gesehen.


Fazit einer spannenden Zeit dort in Brasilien. Die Menschen denen ich helfen konnte waren sehr freundlich und meist auch genügsam. Kaum mal Murren oder Kritik über irgendetwas. Das trotz häufig sehr langen Wartezeiten bei hohen Temperaturen. Die Fälle selbst waren teilweise identisch zur bundesdeutschen Sprechstunde, dann aber doch nicht. Tropenmedizinische Aspekte machten die Arbeit deutlich anders. Vieles wurde mit einfachen, bis einfachsten Mitteln bewerkstelligt und führte auch irgendwie zu einem Ergebnis. Medizinische Personal das sehr motiviert und geduldig auch Ansprechpartner für allgemeine Lebensfragen und Gesundheitsprohylaxe wie die Bekämpfung hämorrhagischer Fieber wie dem Denguefieber zuständig war. Für mich als Medic, der sich in Outdoor Gegenden, sog. Remote Areas herumtreibt war das alles sehr lehrreich.

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Immer wieder wird in Fachforen der Begriff des sog. Prolonged Field Care, kurz PFC diskutiert. Dabei wird diese Phase der Verwundetenversorgung oft als weitere, also vierte Phase des Tactical Comabt Casualty Care , kurz TCCC bezeichnet. Nach Care under Fire, Tactical Field Care und Tactical Evacuation Care, käme dann also das Prolonged Field Care. Taktik und Medizin hat sich der Thematik angenommen und die Philosophie einer Versorgung nach PFC mal genauer betrachtet. PFC ist keine weitere Phase des TCCC. Das schon einmal vorweg. Unter PFC versteht sich eine Versorgungspahse, die durchaus im Zusammenhang mit dem TCCC zu sehen ist, aber nicht ausschließlich. Zu komplex sind die Situationen und Verletzungen aber auch Erkrankungen, die zum PFC führen können.
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